Erste vorläufige Ergebnisse eines Kataloges der Kontrollwerkzeuge im Fall der Spiegel-Affäre

 

Durchsuchungsbeschluss
Friedrich August Freiherr von der Heydte beschuldigt den Spiegel bereits vor dem Erscheinen des Artikels „bedingt Abwehrbereit“ des Landesverrates. In der Deutschen Tagespost veröffentlicht er am 6. Juli 1962 einen Artikel mit der Überschrift „Vergewaltigter Rechtsstaat“. Darin schreibt er unter anderem, der Spiegel-Verlag würde unter dem Deckmantel der objektiven Berichterstattung Wahres, Halbwahres und Erlogenes über innere Angelegenheiten der Bundeswehr ausplaudern.
Nachdem der Spiegel in Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen das Verbreiten dieser Bemerkung erwirkt hatte, erstattet von der Heydte Anzeige wegen Landesverrats gegen den Spiegel-Verlag.
Es war also ein Anfangsverdacht vorhanden, der nun Anlass zum Einschreiten für Bundesstaatsanwälte Wagner und Kuhn bot. Liegt ein Anfangsverdacht vor sind die Strafverfolgungsbehörden, gemäß dem Legalitätsprinzip dazu verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen.
Die Bundesanwaltschaft bittet am 9. Oktober 1962 um ein Gutachten beim Amt für Sicherheit der Bundeswehr, ob der Artikel „Bedingt Abwehrbereit“ Staatsgeheimnisse enthalte. Das Amt für Sicherheit, welches dem Bundesverteidigungsminister (Franz Josef Strauß) unterstellt ist, kontaktiert den Ministerialrat Schwenk, der für Strafrechtsangelegenheiten im Bundesverteidigungsministerium zuständig ist. Dieser beauftragt wiederum den Oberregierungsrat Heinrich Wunder mit der Anfertigung des Gutachtens. Oberregierungsrat Heinrich Wunder stellt, nachdem um das Gutachten förmlich bei dem Bundesverteidigungsministerium über das Bundesjustizministerium gebeten wurde, dieses nun am 18. Oktober 1962 fertig. Er übergibt das Gutachten in Karlsruhe persönlich an den Bundesstaatsanwalt Albin Kuhn. Vier Tage später geht das Schreiben beim Bundesjustizministerium ein, und am selben Tag beantragt die Bundesanwaltschaft beim Gerichtshof den Erlass des Durchsuchungsbefehls, welchem am 23. Oktober 1962 stattgegeben wird.
Das Kontrollwerkzeug Durchsuchungsbefehl wurde also aufbauend auf rechtlichen Grundlagen und der Umsetzung derer in die Tat durch entsprechende Amtsinhaber erfolgreich eingesetzt, um die Durchsuchung der Verlagsräume zu ermöglichen. Die Durchsuchung der Verlagsräume bildet hier ein Element der Kontrolle des Staates gegenüber dem Spiegel-Verlag. Die Aufgabe der Kontrolle der Instanz, welche hier als Kontrolleur (Bundesanwaltschaft, die dem Verdacht nachkommen muss)auftritt, konnte mit diesem Kontrollwerkzeug durchgeführt werden.

Datenbankrecherche zur Spiegel-Affäre

Tiefgreifendere Recherchen im Datenbanksystem DBIS haben, vor allem in Datenbanken der Rechtswissenschaften, aufschlussreiche Ergebnisse geliefert, was die gesetzlichen Grundlagen speziell im Spiegel-Urteil bes Bundesverfassungsgerichts betrifft.

Weiter hat die Recherche in der rechtswissenschaftlichen Datenbank LexisNexis einen Artikel hervorgebracht, welcher sich mit den Zusammenhängen der Pressefreiheit in einer demokratischen Regierung beschäftigt.

Als fragwürdig hat sich für mich bei der Recherche herausgestellt, dass noch all zu oft mehr nach dem Zufallsprinzip aus der Artikelflut ausgewählt wird. Es scheint dabei zu helfen, sich auf die konkrete Fragenstellung der Fallstudie zu besinnen, um feiner definierte Such- oder Schlagworte zu verwenden, die dann weniger relevante Artikel herausfiltern.

Spiegel-Affäre

 

1962: Nachdem sich Mitarbeiter des Nachrichtenmagazines „Der Spiegel“, nach dem Erscheinen eines Artikels zur Politik des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß, wegen angeblichem Landesverrat der Strafverfolgung ausgesetzt sahen, bekam das Thema Pressefreiheit in der Bundesrepublik einen neuen Stellenwert. Öffentlichkeit, Regierung und die Redaktion zeigten verschiedenste Reaktionen auf das polizeiliche Besetzen der Radaktionsräume auf Anordnung von Franz Josef Strauß. Nach anfänglichen Versuchen Strauß´, sich aus der Affäre zu ziehen, hat er die Akzeptanz in Bevölkerung und Regierung verloren und entschied sich zum Rücktritt.

Die Analyseaufgabe im Bezug auf den Verlauf der Spiegel-Affäre, soll einen Katalog von Kontroll-Werkzeugen hervorbringen und skizzieren, woran sie in diesem Fall scheiterten.

 

Verlauf der Durchsuchungen des Spiegel-Verlages.

Der Artikel Bedingt abwehrbereit, verfasst von Conrad Ahlers, gilt als Auslöser der so genannten Spiegel-Affäre. Er erscheint am 10. Oktober 1962 in der 41. Ausgabe des Spiegels.

Folgender Link führt zu einer PDF-Version des genannten Artikels.

http://wissen.spiegel.de/wissen/image/show.html?did=25673830&aref=image035/E0246/10218446.001.dp-T2P-25673830.pdf&thumb=false

In der Nacht des 26. Oktobers 1962, beginnt die Durchsuchung der Verlagsräume der Spiegel-redaktionsräume durch das Bundeskriminalamt, Sicherungsgruppe aus Bonn und der Hamburger Schutzpolizei. Verdacht auf Landesverrat lautete irgendwann im Verlaufe der Durchsuchungsaktion dann die Erklärung. Die Produktion von DER SPIEGEL 44, die in der Nacht in vollem Gange war, wurde letztendlich nicht unterbrochen, doch war den Schlussredakteuren telefonieren verboten, Türen mussten offen stehen, hinter jedem Mitarbeiter stand bewachend parat ein Polizist.

Die Bundesanwaltschaft, in der Nacht vertreten durch den Ersten Staatsanwalt Siegfried Buback, forderte alle Druckfahnen sämtlicher Artikel und Meldungen des 44. Heftes ein. Nur dann könne die neue Ausgabe erscheinen.

Eine Zensur der Presse hat nach dem Artikel 5 GG nicht stattzufinden.

 

Spiegelurteil – Durchsuchung von Presseräumen:

Inhalt, Funktion und Grenzen der Pressefreiheit – allgemeines Gesetz – publizistischer Landesverrat Ausstrahlungswirkung der Pressefreiheit auf StGB und StPO – Stimmengleichheit

Leitsatz

1. Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit von Durchsuchungen in Presseräumen.

Orientierungssatz

1. Ein freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. In der repräsentativen Demokratie steht die Presse als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung und dient der politischen Willensbildung.

2. GG Art 5 Abs 1 gewährleistet die Pressefreiheit als subjektives Grundrecht für die im Pressewesen tätigen Personen und Unternehmen und garantiert objektiv-rechtlich das Institut „freie Presse“.

3. Die in GG Art 5 gesicherte Eigenständigkeit der Presse reicht von der Schaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen und umfaßt auch einen gewissen Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privatem Informanten; dieser muß sich grundsätzlich auf das „Redaktionsgeheimnis“ verlassen können, damit private Informationsquellen fließen.

4. Im Konflikt mit anderen vom GG geschützten Werten findet die Pressefreiheit ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen (GG Art 5 Abs 2), die ihrerseits im Blick auf die Pressefreiheit auszulegen sind (vgl BVerfG, 1958-01-15, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 <208ff>). Die Auslegung der allgemeinen Gesetze ist stets an dem Grundwert der Pressefreiheit zu orientieren, jede Einengung der Pressefreiheit ist zu verhindern, die nicht von der Rücksicht auf mindestens gleichwertige Rechtsgüter unbedingt geboten ist.

5. Die Vorschriften über den Landesverrat (StGB §§ 99, 100) sind „allgemeine Gesetze“ iS GG Art 5 Abs 2. Sie sind verfassungsmäßig, namentlich genügen sie dem Bestimmtheitsgebot von GG Art 103 Abs 2. Ihre Anwendung auf die Presse („publizistischer Landesverrat“) ist bei verfassungsmäßiger Auslegung nicht verfassungswidrig. Der mögliche Konflikt zwischen strafrechtlichem Schutz des Bestandes der BRD und Pressefreiheit kann nicht von vornherein und allgemein gegen die Pressefreiheit entschieden werden; er ist durch eine Einzelfallabwägung zu lösen.

6. Die Pressefreiheit strahlt auch auf die StPO aus, besonders bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchung und Beschlagnahme, die wegen einer Presseveröffentlichung oder im Zusammenhang damit bei einem Presseunternehmen oder Presseangehörigen vorgenommen werden.

7. StPO § 53 Abs 1 Nr 5 (Zeugnisverweigerungsrecht für Presseangehörige) und StPO § 97 Abs 5 (Beschlagnahmeverbot) sind als solche mit GG Art 5 Abs 1 S 2 vereinbar, da sie den Schutz des Redaktionsgeheimnisses jedenfalls teilweise verwirklichen. Sie enthalten keine erschöpfende Regelung: es ist Aufgabe des Richters bei der Anordnung der Durchsuchung oder Beschlagnahme, den Schutz des Redaktionsgeheimnisses in stärkerem Maß zu berücksichtigen.

8. Eine Durchsuchung von Presseunternehmen nur zum Zweck der Ermittlung von Informanten ist unzulässig.

9. Wegen Stimmengleichheit (BVerfGG § 15 Abs 2 S 4) konnte eine Verletzung der Pressefreiheit durch die angegriffene Durchsuchungsanordnung nicht festgestellt werden. Nach Auffassung der die Entscheidung tragenden vier Richter wurde GG Art 5 Abs 1 S 2 weder bei der Anwendung des materiellen Strafrechts (Verdacht des publizistischen Landesverrats), noch bei der Anwendung der StPO (insbesondere Geeignetheit und Notwendigkeit der Maßnahmen unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und auch im Hinblick auf den Informantenschutz), noch hinsichtlich des Inhalts des Durchsuchungsbefehls verletzt.

10. Nach Auffassung der anderen vier Richter verletzt der angegriffene Durchsuchungsbefehl sowohl bzgl der Anwendung von StGB §§ 99, 100 (Nichtanwendbarkeit der Mosaiktheorie auf publizistischen Landesverrat, Tatverdacht nur durch Mosaiktheorie begründbar) als auch bzgl der Anwendung der StPO (zum Schutz des Redaktionsgeheimnisses schärfere Anforderungen an Zulässigkeit einer Durchsuchung von Presseunternehmen, keine ausreichende Abwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der gebotenen Berücksichtigung der Pressefreiheit, insbesondere im Hinblick auf die einschneidende Auswirkung des Durchsuchungsbefehls auf das Presseunternehmen) als auch bzgl des Inhalts des Durchsuchungsbefehls (rechtsstaatlich gebotene schriftliche Absetzung mit Angabe der Art und des Inhalts der gesuchten Beweismittel nicht eingehalten) die Pressefreiheit.

11. Hinsichtlich der Durchführung des Durchsuchungsbefehls und des Umfangs der Beschlagnahme hat sich das Verfahren durch Antragsrücknahme nach dem vorliegenden Teilurteil erledigt.

12. Zur Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung in diesem Verfahren vgl BVerfG, 1962-11-09, 1 BvR 586/62, BVerfGE 15, 77.